Artikel von:
Benno Klaas, Management Consultant, Cassini Consulting
Benno Klaas
Management Consultant
E-Akte - Elektronisch ist nicht gleich digital
E - wie elektronisch

Die E-Akte. Elektronisch ist nicht gleich digital.

Der Begriff "Elektrifizierung" (oder moderner: „Elektronisch“) als Synonym für Digitalisierung führt in die Irre.
Aus E-Government wird Digitale Verwaltung. Der Begriff entwickelt sich weiter. Oft jedoch bleibt die Gedanken- und Vorstellungswelt im Analogen verhaftet: nämlich die „Elektrifizierung“ der Infrastruktur unter Beibehaltung der bisherigen Prozesse und Strukturen. Damit wird das eigentliche Potenzial der Digitalisierung nicht ausgeschöpft.

Digitalisierung bedeutet, Prozesse und zugehörige Infrastruktur neu zu denken und weiterzuentwickeln. Dabei muss gleichzeitig der Wesenskern erhalten bleiben. 
Am Beispiel der E-Akte wird so ein potenzieller Hemmschuh bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung offenkundig. Elektrisch/Elektronisch ist eben nicht gleich digital.

Elektrisch ist nur der erste Schritt

Vorhaben, Projekte und Maßnahmen zur Digitalisierung laufen seit Jahren auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung, mit mehr oder weniger Nachdruck. In einer Behörde war intern die Rede von der "Elektrifizierung" der Abläufe. Jeder versteht die Anspielung, gemeint ist das Bestreben, die Abläufe zu digitalisieren. Der Begriff legt nahe, dass Elektrifizierung so etwas ähnliches ist wie Digitalisierung. Das ist intuitiv naheliegend und leuchtet ein – aber leider ist dies auch ein Missverständnis.
"Elektrifizierung" meint, einen bisher z. B. mit Muskel- oder Pferdekraft, meist über die Zwischenstufe der fossilen Brennstoffe, betriebenen Vorgang nun elektrisch anzutreiben. Es wird also nur die Antriebstechnik ausgetauscht: die Funktionsweise der angetriebenen Maschinerie bleibt erhalten und weitgehend unverändert.

Das Beispiel Bahn: Bei der Ablösung von Diesellokomotiven durch Elektro-Lokomotiven wird im Wesentlichen nur die Lok ausgetauscht (und die Infrastruktur stellenweise ergänzt, um den Strom zu erzeugen und zur Lokomotive zu bringen). Es entsteht durch die Elektrifizierung aber kein Zwang, die eigentlichen Betriebsabläufe im Kern zu ändern: die Waggons bleiben die gleichen, die Abläufe im Bahnhof und der Fahrkartenverkauf bleiben auch unberührt. Auch bestehen die elektrifizierte und nicht-elektrifizierte Welt in der Regel nebeneinander, so dass die gesamte Infrastruktur und Logistik für den Betrieb von Diesellokomotiven weiterhin aufrecht erhalten werden muss. Darin ist auch der Gedanke einer Rückfallmöglichkeit enthalten. Fällt der Strom aus, greife ich auf die Diesellok zurück.
Die Elektrifizierung bringt natürlich viele positive Effekte mit sich: es werden höhere Leistungen möglich, die Lokomotiven werden leiser und sauberer, die Arbeit in den Lokomotiven wird erleichtert. Aber die Betriebsprozesse bleiben dem Wesen nach erhalten. Für den Fahrgast steigen Komfort und Reisegeschwindigkeit, aber auch hier: die Prozesse werden nicht optimiert.

Es bleibt die Erkenntnis: Elektrifizierung führt zu einer „Modernisierung“, insgesamt zu einer Beschleunigung der Abläufe. Es fehlt aber das Neu-Denken der Prozesse.  

Nun ist „elektrisch“ gut, „elektronisch“ noch besser. „Elektronisch“ verspricht noch mehr Modernisierungspotential, noch mehr Zukunftsorientierung. Digitaltechnik basiert in weiten Teilen auf elektronischen Komponenten: ein „E“ davor, und schon wird aus der (analogen) Akte die (moderne, digitale) „E-Akte“. Das greift leider viel zu kurz, denn auch hier werden die Prozesse nicht neu gedacht.

Egal ob ein Zug mit einer Diesel- oder Elektro-Lokomotive gezogen wird, beides entspricht dem analogen Transport: ich verfrachte einen Passagier oder eine Fracht physisch von A nach B, auf derselben Infrastruktur, mit sehr ähnlichen Prozessen in Betrieb und für den Endkunden.

Digital ist eben nicht gleich elektronisch. Elektronisch und elektrisch gehören zur analogen Welt.

Benno Klaas, Management Consultant

Digitalisierung bringt neue Prozesse

Anders bei der Digitalisierung: Die echte Digitalisierung (und nicht nur eine "Elektrifizierung") findet erst statt, wenn alle Abläufe, Prozesse und die zugehörige Infrastruktur selbst nicht mehr analog sind. Im Transportwesen wäre das etwa das (von praktischer Anwendung noch weit entfernte) "Beamen", also die fast augenblickliche Versetzung einer Person oder eines Gegenstandes an einen entfernten Ort, ohne dass ein physischer Transport stattfindet. Beim Beamen werden Informationen transportiert, nicht mehr die Materie.

Eine aktuell verfügbare Zwischenstufe auf dem Weg zum Beamen ist der 3D-Druck. Beim 3-D-Druck werden die Konstruktionspläne oder Druckanweisungen in rein digitaler Form übermittelt und erst am Bestimmungsort (oder Nahe daran) in ein tangibles Objekt überführt. Damit das funktioniert, bedarf der 3D-Druck einer eigenen Infrastruktur: digitale Herstellung und Verteilung der Druckinstruktionen, die 3D-Drucker, Verbrauchsmaterialien, IT-Anbindung. Aber auch Know-how, Kompetenzen und Abläufe müssen angepasst werden. Wesentlich ist: am Ende ermöglicht der 3D-Druck die komplette Neu-Organisation der internen Abläufe und insbesondere der Logistik. Es wird keine Vielzahl von Einzelteilen in großem Umfang mehr vorrätig gehalten, sondern nur noch die Druck-Materialien und die digitalen Baupläne für die benötigten Teile. Auch die Produktentwicklung (Stichwort: Rapid Prototyping) und die Konstruktion (siehe Luftfahrt) werden revolutioniert.

Die digitale Verwaltung und die Aktenführung

Die Akte ist wesentlich für das Verwaltungshandeln: sie informiert und trägt zur Rechtssicherheit bei. Auch wenn die digitale Akte nur einen Bruchteil aller Vorhaben abdeckt, die die Digitalisierung der Verwaltung ausmachen, so ist die digitale Akte zu einem Synonym für die Digitalisierung der Verwaltung geworden. Sie mag hier zur Illustration dienen.
Die Digitalisierung der Aktenführung ist weit mehr als die Elektrifizierung der bestehenden Infrastruktur, sie ist etwas anderes als die Elektrifizierung der Papierakte unter Beibehaltung aller sonstigen Abläufe. Echte Digitalisierung bedeutet, dass die Akte und die Aktenführung nicht mehr analog vorliegen und erfolgen. Es gibt nicht mehr „die Akte“ – sie wird abgelöst durch digitale Informationssammlungen, die die Anforderungen an eine Akte erfüllen.
Also bedarf es eines neuen Denkens - das Analoge wird aufgegeben, die Abläufe werden neu gedacht. Allein die Tatsache, dass die Akte durch die Digitalisierung kein physisches Objekt mehr ist, eröffnet völlig neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Die potentiell überall verfügbare digitale Akte macht etwa Telearbeit in vielen Behörden erst zu einer echten Alternative.

Digitalisierung der Aktenführung bedeutet auch, dass bisherige Infrastrukturen obsolet werden oder neue Aufgaben bekommen. Die Poststelle, die Registratur – hier führt die Digitalisierung zu großen Umbauten, neue Prozesse werden nötig, neue Verfahren eröffnen sich, werden teilweise sogar erzwungen. Die behördenübergreifende Zusammenarbeit muss bedacht werden, ebenso wie die Vorlage von Akten im Rechtsverkehr oder vor Gericht.

Die digitale Aktenführung ist auch dem Wesen nach digital im Wortsinn: entweder die Akten werden digital geführt, oder eben nicht. Ist die Umstellung von analog auf digital erst erfolgt, gibt es kein Zurück, es gibt keinen Papier-Backup. Fällt das System zur digitalen Aktenführung aus oder wird es kompromittiert, so gibt es keine Papierakte, die dann nach den bisherigen analogen Methoden bearbeitet werden kann. Entsprechend hoch ist der konzeptionelle Aufwand, der in Infrastruktur, Datensicherheit und Schutz der digitalen Akte investiert werden muss und soll.

Digitalisierung ist die Einladung und die Aufforderung, die Verwaltungsarbeit neu zu denken. Damit Digitalisierung gelingt, müssen Ziele, Zwecke und Stärken der Verwaltung geschützt und erhalten werden. Alles andere kann neu gedacht werden.

Fazit

  • Digitalisierung der Verwaltung umfasst Infrastruktur, Abläufe und Aufgabenverteilungen. Eine teilweise Digitalisierung durch Ablösung einzelner Komponenten (z. B. E-Akte Systeme) unter sonstiger Beibehaltung des Bestandes ist als Ziel nicht sinnvoll.
  • Die erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung ist in weiten Teilen auch digital: ein dauerhafter Parallelbetrieb von Bestand und Neu ist nicht sinnvoll möglich.
  • Der Wesenskern der Verwaltung kann auch mit digitaler Infrastruktur und Abläufen gesichert werden.
  • Die Entwicklung vom analogen Bestand zum digitalen Ziel gelingt mit mutiger und klarer Führung.
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